Warum Yoga nicht immer hilft
von Ines

und das okay ist
Yoga ist überall: in Magazinen, Apps, Studios, Retreats. Es wird gefeiert als Allheilmittel gegen Stress, Schmerzen, Schlafprobleme, Unzufriedenheit. Doch so kraftvoll Yoga auch sein kann – es ist kein Wundermittel. Und manchmal hilft es eben nicht. Zumindest nicht so, wie wir es erhoffen oder brauchen.
Dieser Beitrag ist für all jene, die sich vielleicht fragen: „Warum fühle ich mich trotz Yoga nicht besser?“ oder „Warum bringt mir das gerade nichts?“ – Du bist nicht allein. Und: Du machst nichts falsch.
1. Der Druck, „richtig“ zu praktizieren
Yoga soll entspannen – und wird für manche zur inneren Bühne des Vergleichs und Versagens. Während im Studio scheinbar alle elegant in den herabschauenden Hund gleiten, ringt man selbst mit der Balance. Während andere scheinbar völlig ruhig atmen, arbeitet der eigene Kopf auf Hochtouren: Bin ich gut genug? Mache ich das richtig? Warum bin ich nicht entspannter?
Das Problem: Viele bringen Leistungsdenken mit auf die Matte – oft unbewusst. Unsere Gesellschaft ist darauf ausgerichtet, besser zu werden, Fortschritt zu messen, Ergebnisse zu erzielen. Dieses Mindset überträgt sich leicht auf die Yogapraxis – obwohl es genau das Gegenteil von dem ist, was Yoga eigentlich will.
Was helfen kann:
- Nicht jedes Yoga ist „Zen“. Es ist okay, unruhig, unbeweglich oder abgelenkt zu sein.
- Wähle Kurse oder Lehrer*innen, die Leistungsfreiheit betonen.
- Sieh Yoga nicht als „Tool zur Selbstoptimierung“, sondern als Einladung zur Selbstbegegnung.
2. Nicht jede Praxis passt zu jeder Lebensphase
Es gibt viele Yogastile – von dynamisch und schweißtreibend bis meditativ und ruhig. Doch wer die falsche Praxis zur falschen Zeit wählt, kann sich schnell überfordert oder unterfordert fühlen.
Beispiel: Jemand mit hoher innerer Unruhe geht in eine stille Yin-Yoga-Stunde. Statt Ruhe zu finden, verstärkt sich das unangenehme Gefühl durch das lange „Nichtstun“. Oder jemand, der erschöpft ist, landet in einer Power-Yoga-Klasse – und fühlt sich danach völlig ausgelaugt statt gestärkt.
Auch die Lebensumstände spielen eine Rolle:
- Nach einem Burnout kann zu viel körperliche Aktivität eher schädlich sein.
- In Phasen tiefer Trauer kann eine rein körperliche Praxis zu wenig Raum bieten.
- Wer viel sitzt, braucht oft mehr Bewegung, nicht mehr Stille.
Was helfen kann:
- Finde den Yogastil, der zu deinem Körper und deiner inneren Situation passt.
- Achte auf deine Tagesform – und wähle entsprechend.
- Und ja, manchmal ist es auch einfach okay, ganz kein Yoga zu machen.
3. Körperliche Beschwerden können verstärkt werden
Yoga wird häufig mit Gesundheit assoziiert – und ja, es kann Rückenschmerzen lindern, Beweglichkeit fördern, Verspannungen lösen. Aber: Ohne ausreichende Kenntnis des eigenen Körpers oder ohne achtsame Anleitung kann Yoga auch Schäden verursachen.
Typische Risiken:
- Überdehnung von Bändern und Sehnen
- Fehlhaltungen durch falsch ausgeführte Posen
- Verschlimmerung von Rücken-, Knie- oder Nackenschmerzen
Gerade Anfänger*innen neigen dazu, Anleitungen wortwörtlich zu nehmen, auch wenn der eigene Körper „Nein“ sagt. In Gruppenkursen bleibt oft keine Zeit, individuelle Besonderheiten zu berücksichtigen – etwa bei Skoliose, Bandscheibenvorfällen oder Gelenkproblemen.
Was helfen kann:
- Persönliche Beratung durch erfahrene Lehrer*innen
- Lernen, die eigenen Grenzen zu spüren – und zu respektieren
Lieber sanft und regelmäßig als ambitioniert und selten
4. Emotionale Themen können überfordern
Yoga wirkt nicht nur körperlich – es spricht auch das Nervensystem und emotionale Ebenen an. In bestimmten Posen (wie Hüftöffnern oder Rückbeugen), durch bewusstes Atmen oder Meditation können unterdrückte Gefühle plötzlich an die Oberfläche kommen: Traurigkeit, Wut, Angst, Hilflosigkeit.
Das ist per se nichts Negatives – aber es kann überfordern, wenn man unvorbereitet ist oder keinen sicheren Raum dafür hat. Besonders bei Menschen mit traumatischen Erfahrungen oder in psychisch herausfordernden Lebensphasen kann Yoga Emotionen auslösen, die schwer einzuordnen oder zu regulieren sind.
Was helfen kann:
- Achtsame Lehrer*innen, die emotionale Prozesse begleiten können
- Sich selbst erlauben, nicht „tief gehen“ zu müssen
- Therapeutische Unterstützung suchen, wenn Yoga mehr öffnet als hält
5. Wenn Yoga zur Pflicht wird, verliert es seine Kraft
„Ich sollte heute noch Yoga machen.“
„Ich muss entspannen.“
„Ich darf meine Routine nicht unterbrechen.“
So schnell wird aus einer freiwilligen Praxis eine Pflicht. Der ursprüngliche Wunsch nach Selbstfürsorge verwandelt sich in ein weiteres To-do auf der ohnehin langen Liste. Und mit jedem Mal, an dem man „auslässt“, wächst das schlechte Gewissen.
Doch: Yoga soll kein zusätzlicher Stressfaktor sein. Es soll entlasten, nicht belasten.
Was helfen kann:
- Regelmäßigkeit darf fließen – statt rigide sein
- An manchen Tagen ist ein Spaziergang oder eine warme Dusche mehr „Yoga“ als eine Stunde auf der Matte
- Weniger als Ideal ist immer noch gut – und manchmal sogar besser
Und jetzt? Was tun, wenn Yoga (gerade) nicht hilft?
Zuerst: Erkenne an, dass es okay ist. Es gibt keinen universellen Weg zur Entspannung, Heilung oder innerer Klarheit. Vielleicht brauchst du im Moment etwas anderes:
- Bewegung, aber ohne Spiritualität – z. B. Schwimmen, Wandern, Tanzen
- Stille, aber nicht auf der Matte – sondern beim Lesen, Musik hören oder einfach Nichtstun
- Kontakt – ein Gespräch mit einem lieben Menschen, Coaching, Therapie
- Aktivität – statt In-sich-Gehen mal bewusst Rausgehen
Was auch immer es ist: Es zählt, was dir jetzt gut tut.
Yoga ist ein Werkzeug – nicht das Ziel
Yoga ist ein wertvolles Werkzeug, aber kein Allheilmittel. Es ist nicht automatisch „gut“ – sondern gut, wenn es zu dir passt. Wenn es das nicht tut, darfst du dich davon lösen. Du darfst neugierig bleiben, Alternativen finden, dich neu entdecken.
Denn Achtsamkeit beginnt nicht mit dem Sonnengruß – sondern mit der ehrlichen Frage:
Was brauche ich – heute, jetzt, wirklich?
Vielleicht ist heute dein Yoga: ehrlich sein. Atmen. Loslassen. Und das reicht.